30. Juli 2010

Gigante (Adrián Biniez) 5,52




Ein Publikumserfolg auf der Berlinale, ein sympathischer Wohlfühlfilm steht am Programm, was soll da schon schiefgehen? Leider entpuppt sich dieser Beitrag aus Uruguay aber selbst bei gutem Willen und einem Faible für langsame Außenseitergeschichten auf Dauer als relativ dröge - auch weil man so etwas Ähnliches schon besser gesehen hat..

Die Figur des Gigante, eines schüchternen, übergewichtigen Nachtwächters, der seiner Liebe quasi eine Stunde hinterher spioniert, ohne dass er sich traut, sie anzusprechen, ist dabei auch nicht gerade DER Sympathieträger oder ein echter Typ, der rückwirkend "Kult“ werden könnte…auch wenn man für ihn hofft, dass er seine soziale Angst überwindet und die Frau seiner Träume endlich mal anspricht, fällt es schwer, mit diesem Mensch im Laufe des Films so richtig warm zu werden. Hier bleibt ein wenig das Gefühl, dass etwas mehr möglich gewesen wäre.

Auch geizt der Regisseur und Autor Biniez bei aller Liebe zum Unspektakulären Alltagskino etwas zu sehr mit witzigen oder irgendwie erinnerungswürdigen Szenen: einige spärliche nette Einfälle gibt es da zwar schon, aber eigentlich kommt da viel zu wenig für einen guten Film.

Lobenswert sind sicher Absichten und Konsequenz des klar konzipierten Werks und vielleicht könnte Gigante gerade für ähnlich schüchterne Menschen wie die Hauptfigur ein kleiner Lieblingsfilm werden, für den eher neutralen Zuschauer ist diese sanfte Liebesgeschichte aber doch zu ereignisarm und mittelmäßig ausgefallen.

29. Juli 2010

Der Prospektor (Heiner Stadler) 6,40




Eigenwilliger Filmessay, laut eigenen Aussagen eine „fikitionale Doku“, des Film-Hochschulprofessors Stadler über einen Freund, der möglicherweise verschwunden ist, aber schon immer in der ganzen Welt herumreiste, um Aufträge anzunehmen und dort die abenteuerlichsten Dinge erlebte…zumindest erzählte er stets sehr abenteuerliche, unterhaltsame Geschichten (wenn einer viele Reisen tut…).

Ob denn Stadlers Recherchen und Berichte von seinem Freund überhaupt realitätsnah sind oder nicht, lässt sich nicht einmal sagen, aber genau darum geht es in diesem Filmexperiment offensichtlich: um gute Geschichten…ob sie wirklich stimmen, sei dann ohnehin eher egal, meint auch Stadler sinngemäß am Ende. Stilistisch ist dieses Werk sehr experimentell, Archivaufnahmen aus des Prospektors Leben (oder eben auch nicht?) werden mit der Erzählerstimme unterlegt, oft passt auch das Bild nicht unbedingt zum Text…dann sieht man wieder durch Stadlers Augen, im Hotelzimmer, der Wohnung des Freunds, usw..

Fazit? Ziemlich sperrig und etwas mühsam anzusehen, aber schlussendlich schon auch faszinierend, persönlich und rätselhaft.

28. Juli 2010

Live is Life (Wolfgang Murnberger) 7,07




Eine sehr nette TV-Komödie, die so etwas wie eine gemütliche Senioren-Variante von School of Rock darstellt. Zu einer spaßigen Angelegenheit machen diesen Film die zwar absolut harmlose, aber doch recht freche Komik zum Thema Seniorenheim bzw. Trott und Schwäche VS Lebensfreude und Aktivität im hohen Alter, und vor allem die sympathischen Schauspieler: Jan Josef Liefers als Rocker, der zu einer Strafe im Seniorenheim verdonnert wird und dort die von der Leiterin unterdrückten Pensionisten (u.a. Joachim Fuchsberger und Bibiana Zeller) mithilfe flotter Musik und Lebenslust aufrüttelt und sich in die hübsche Schwester (Ursula Strauss) verliebt - eine wenig unkonventionelle Story und ein erst recht völlig konventioneller Ablauf eines Fernsehfilms, aber durch und durch charmant und gute Laune verbreitend fällt das Ganze in diesem Fall aus.

Wenn alte Menschen abrocken, kann das ganz schnell peinlich wirken, doch Murnberger und seinem Team gelingt es, diese Gefahr immer wieder humorvoll abzufedern. Nur das Ende, wenn beim finalen Auftritt ausgerechnet der schreckliche, titelgebende STS-Song performt und dazu abgefeiert wird, ist schlimm. Aber da sind die 90 netten Minuten ohnehin schon vorbei. Murnberger hat hier immerhin eine gelungene Arbeit für einen gemütlichen Fernsehabend fabriziert, Die Spätzünder (dt. TV-Titel) ist wesentlich angenehmer als sein eher in die Hose gegangene Meine Tochter nicht!

27. Juli 2010

Avant que j'oublie (Jacques Nolot) 7,25




Ein schwarzes Loch bewegt sich langsam, aber stetig auf die Kamera zu. Bedrohlich wird es immer größer und größer, bevor es den Bildschirm ganz verschlingt.

Der bevorstehende Tod ist ein zentrales Thema in diesem sehr persönlichen Werk des schauspielernden und schreibenden Filmemachers Jacques Nolot. Er inszeniert sich hier selbst als eine Art Alter Ego relativ schonungslos und gleichzeitig recht selbstironisch in langen, wenig verschleiernden Einstellungen als gealterten, aidskranken, einsamen, lebensüberdrüssigen Gigolo.

Die Inszenierung ist der Lethargie und mentalen sowie physischen Geschwächtheit seines Protagonisten entsprechend ruhig und gesetzt. Wie schon in Nolots vorhergehenden Film La Chatte à deux têtes (Hartgesottene können rudimentär formulierte Eindrücke und flapsige Sprüche von mir und anderen dazu hier nachlesen), dominieren lange Einstellungen, in denen nicht viel passiert oder eben alltäglich geredet oder gevögelt wird. Dies erinnert einerseits durch seine Langsamkeit an Spätwerke von Manoel de Oliveira und in der Darstellung von ziemlich emotionslosem, kalten Sex auch etwas an Szenen bei Bruno Dumont. Gewiss ist: Nolot dreht seine Filme nicht für ein großes Publikum, eher scheint dieser hier eine Art persönliche Therapie für ihn zu sein; ein Drang, sein eigenes Leben (wie sehr auch immer künstlerisch verzerrt) aufzuarbeiten, Intimes über das Kino publik werden lassen und dabei selbst die Hauptrolle zu spielen.

Es ist eine schon ziemlich zähe, in Literatur und Film natürlich bereits öfter erzählte Geschichte (lonely old man..), aber die persönliche Herangehensweise macht solche existenziellen Stoffe immer wieder aufs Neue interessant - der unaufgeregt dahintreibende Film vermag mit fortschreitender Laufzeit Interesse für diesen einsamen, aidskranken Mann zu wecken und sanft zu fesseln.

Nolot beweist auch immer wieder trockenen Humor, sei es durch schnittunterstütze Situationsgroteske oder in den Dialogen, wobei Pierre kein plappernder Zyniker a la Woody Allen oder Larry David ist, sondern alles sehr subtil, zurückhaltend, und gewiss auch sehr französisch kommentiert.

Am Ende inszeniert sich Monsieur Nolot dann regelrecht selbstgefällig und enorm theatralisch (auch überraschend, nach seinem nüchtern/unspektakulär männlichen Auftreten den ganzen Film hindurch, plötzlich als Transvestit), ein-zwei Minuten verharrt er in skurriler Pose, begleitet von dramatischer Musik: ein pathetischer (vielleicht ja auch wieder ironischer) Abgang, aber auch ein Abschied, so kann man sich fragen, nicht nur aus diesem Film, sondern vielleicht auch vom Filmemachen an sich?

Bevor ich vergesse (kurioser arte Titel: Ein Anfang vor dem Ende) ist ein etwas zähes, wehmütiges, bitteres, aber alles andere als humorloses Werk eines alternden Künstlers, das nicht viel Neues erzählt oder vermittelt, aber es, unterstützt durch die spürbare autobiographische Färbung, durchaus verdient hat, von dem Einen oder Anderen angesehen zu werden.

26. Juli 2010

I love you Phillip Morris (Glenn Ficarra & John Requa) 8,11




Aus der Ich-Perspektive von Steven Russell (Jim Carrey) wird dieser Film von Beginn an erzählt. Der Zuschauer wird von einem Schwindler und Betrüger durch die Geschichte begleitet - nicht ausgeschlossen, dass man hier also auch selbst einmal hinters Licht geführt wird...

Ficarra und Requa, die vor ein paar Jahren den nett-bösen Bad Santa geschrieben hatten, begeistern mit ihrem auch stilistisch recht gefälligen Regiedebüt auf mehreren Ebenen. Zum einen ist ILYPM natürlich eine Komödie mit Jim Carrey, was Lacher ohnehin garantiert. Und der Humor ist hier zwar Carrey-typisch, aber auch durchaus eigen: eher schräge Situationskomik; gewitzte Montagen (das Highlight: der romantische Tanz im Knast); schwuler Sex, der unpeinlich auch mal recht herb dargestellt wird und auch wieder Lacher entlockt, ohne dass aber ein reaktionäres Lustigmachen über das Homosexuelle bedient wird, etc. Das alles wirkt frech, frisch und gefällt schonmal ziemlich.

Doch zusätzlich zur Komik in diesem Film treiben die beiden Autoren/Regisseure, verstärkt durch einen meisterlich spielenden Jim Carrey, durchgehend ein hintersinniges- und auch -listiges, am Ende gar unerhörtes (an Tabus kratzenden) Spiel mit dem Publikum, und vor allem verleihen sie dieser schwulen Komödie einen absolut tragischen Helden und damit einen mehr und mehr durscheinenden, traurigen Unterboden: Carreys Figur ist nämlich keine bloße Witzfigur, sondern ein psychopathologisch Getriebener; ein außergewöhnlicher, jedoch auch entsetzlich einsamer Mensch; ein notorischer Lügner und Betrüger, der offensichtlich nur in seiner bedingungslosen Liebe zu Phillip M. zutiefst ehrlich sein kann.

Es ist wirklich erstaunlich, wieviel Tiefe Ficarra und Requa in diesen (oberflächlich rezipiert ) "lustigen Schwulen-Film" packen. Bis zur letzten Einstellung fahren sie diese Linie, eine Einstellung, die gleichzeitig einen abschließenden Lacher entlockt, fröhlich wirkt und dennoch ist man sich schon kurz danach bewusst, dass es für jemanden wie Steven Russell kaum jemals ein glückliches Ende wird geben können...lobenswert, wie die beiden Filmemacher in einem nicht mehr als guten und, abgesehen vielleicht von einigen heftigen, großartigen Minuten, keinesfalls schweren Werk Tragik und Komik verweben.

I love you Phillip Morris ist zugleich Jim Carrey-Komödie (mit einem ultrasanften Ewan McGregor als Beiwagerl), Schwulenfarce und einer dieser anscheinend recht modernen Betrügerfilme (beruhend auf wahren Ereignissen), wie sie vor kurzem auch von Soderbergh oder Adolph gedreht wurden: das Tolle an dieser Version ist, dass kaum Melancholie herrrscht, sondern die Tragik der Schwindlerfigur nur sehr subtil transportiert wird, nach dem Motto: Im Kino lachen, danach grübeln. Der Film ist aus einem ähnlichen Holz geschnitzt wie etwa auch Kick-Ass: an einer Schnittstelle zwischen coolem, kurzweiligen Hollywood-Movie und leicht anarchischem Alternative-Geist entsteht mit Starpower etwas, das gleichermaßen sehr oberflächlich konsumierbar und dennoch nicht hohl ist. Diese Art von Filmen ist zwar nicht das ganz große Ding, macht aber mehrdeutig Spaß.

25. Juli 2010

Strings (Anders Rønnow Klarlund) 5,18




Idee faszinierend, Ergebnis mager - so lässt sich dieses Filmexperiment am kürzesten zusammenfassen. Erzählt wird eine dramatische Geschichte um zwei verfeindete Völker, einen Königsselbstmord, den böse intriganten Onkel und den tapferen Sohn als friedensbringender Held. Der Clou ist, der gesamte Film wurde mit Marionetten gedreht! Was zu Beginn noch sehr spannend wirkt und auch wunderbar atmosphärisch inszeniert ist, verflacht mit der doch zu langen Laufzeit von vollen 90 Minuten zu sehr, um als Gesamtprodukt überzeugen zu können.

Ein großes Problem von Strings ist vor allem, dass die Regie weniger charmant, sondern fast schon zu überambitioniert und vor allem glatt ist: Hochglanzbilder, aufwendige Kamerafahrten und -spielereien wecken den Anschein, hier solle eine große, epische Hollywoodproduktion nachgeahmt werden. Anstatt sich mehr auf den Charme der Puppen und des experimentellen, des "alternativen" Zugangs zu verlassen, übertreiben es der Regisseur und seine Drehbuchautorin (welch trefflicher Vorname: Naja!!) mit ihrem pathetischen Zugang, sowohl in den Dialogen als auch bei der übertriebenen Musikbegleitung. Das alles spießt sich nämlich ordentlich mit den hölzernen Puppen, den sich nicht bewegenden Mündern, usw.. Die Frage, warum man so eine Art von sich am gängigen Mainstream anbiedernden Film auf diese experimentelle Weise dreht, anstatt es mit Schauspielern oder Zeichen- oder Computertrick zu probieren, müssen sich die Macher schon gefallen lassen. Die eigenartige Mischung aus versuchter Originalität und schlußendlich doch Mangel an Risiko und Inspiration geht jedenfalls nicht auf, die Puppen vermitteln einfach keine Emotionen und darüberhinaus ist die Geschichte letztlich nur eine eher klischeehafte Ansammlung von Motiven aus bekannten Geschichts- und Fantasyepen. Hin und wieder, am deutlichsten noch zu Beginn und gegen Ende, gelingen dem Regisseur durchaus beeindruckende Sequenzen, vor allem dank der eingesetzten Elemente Regen und Feuer. Doch beim ganz gefälligen Showdown hat man zuvor schon zu oft gegähnt, zu oft die Augen gerollt vor lauter Pathos und Klischees und vor allem aufgrund dieser dämlichen, viel zu oft eingestreuten Sprüche a la "es hängt am seidenen Faden", "ich ziehe die Fäden", usw. - Strings ist leider viel zu pseudo- anstatt tatsächlich besonders ausgefallen. Schade um die gute Idee.

15. Juli 2010

Fantastic Mr. Fox (Wes Anderson) 8,28




Die eigentümlich animierte Verfilmung einer Dahl'schen Tierfabel und dennoch ein absolut typischer, unverkennbarer Anderson/Baumbach Film: von schrullig-neurotischen über betont lässige bis zu melancholischen Charakteren ist im neuen Werk alles dabei, was man schon aus den vorangegangenen Familiensagas wie Royal Tenenbaums oder den "Tiefseetauchern" kennt.

So sehr Anderson diesmal also mit seiner enorm fantasievollen, charmanten, gewitzten und spaßigen Animation „etwas komplett anderes“ macht, so macht er eben doch wieder fast das Gleiche wie immer. Könnte man langsam als etwas abgedroschen bezeichnen oder als gut funktionierende trademark, genauso wie das Pfeifen+Klacksen des fantastischen Mr. Fuchs, eines wilden Tiers, der aber gleichzeitig ein gut situierter Gaunerheld ist…ja das ist der Film letztendlich immer mehr: ein smartes Gaunermovie, zum Ende hin fast schon eine Art Tierwelts Eleven. Doch bei Anderson hat noch mehr Romantik, noch mehr kreativer Irrsinn als bei einem Soderbergh Platz. Fantastic Mr. Fox ist ein von der ersten Sekunde sprudelnder Quell der Schönheit und des Staunens, ein über weite Strecken ungemein originelles Werk voller bezaubernder Hintergründe, gefälliger (Folk-)Musik und liebenswerter Details, das höchstens am Ende etwas gewöhnlich ausläuft.

13. Juli 2010

Videocracy (Erik Gandini) 5,60




Diese Doku versucht, den Einfluß des italienischen Fernsehens auf die Bevölkerung zu beleuchten. Unmittelbar damit im Zusammenhang steht natürlich auch Silvio Berlusconi, dessen Machenschaften in den letzten Jahren im italienischen Film ja immer wieder thematisiert wurden, unter anderem von Nanni Moretti.

Erik Gandini wählt für seine Medienanalyse einen episodischen Zugang, indem er abwechselnd verschiedene Protagonisten begleitet, als da wären: Ein junger Mann, der über eine Castingshow ins Fernsehen möchte; ein einflussreicher Medienzampano, der in einem völlig weißen Haus lebt, dort dekadente Insiderparties schmeißt und - das ist sicher die erinnerungswürdigste (weil in ihrer Absurdität schon irritierenden) Szene des gesamten Films - naiv strahlend wie ein kleines Kind ungefähr eine Minute lang ein musikalisches Faschistenvideo über Mussolini auf seinem Handy stolz in die Kamera hält. Weiters schneidet Gandini noch die Geschichte eines ultraschleimigen Paparazzo an, der seinen Beruf nach eigenen Angaben aus Haß auf "arrogante" Prominente ausübt, später jedoch seinen eigenen Knastaufenthalt zur Selbstinszenierung nützt und zu einem sich in der Aufmerksamkeit suhlenden Medienstar aufsteigt. Diese "Episode" zeigt am besten den Wahnsinn der Fernseh-/Stars und Sternchenindustrie sowie vieler Mitwirkender. Letztlich muß man Gandinis Film jedoch auch einen Vorwurf der Oberflächlichkeit machen, denn gegen Ende besteht er fast nur noch aus unkommentierten Aufnahmen der Stars - sicher ein zulässiges Mittel, um zurückhaltend die Wirkung dieser Herrschaften auf das Volk nachvollziehbar (oder eben nicht) zu machen, dennoch verliert sich die Regie gegen Ende ziemlich in einer gewissen Leere, was den in der ersten Hälfte recht spannenden Szenen-Einblick leider ordentlich verwässert. Etwas mehr Informationsgehalt hätte es schon noch sein dürfen, so bleibt Videocracy ein nur phasenweise erhellender Einblick in ein Seichtes Fernsehen-verrücktes Land, das sogar von einem ziemlich schleimigen Fernsehstar/-mogul regiert wird.